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Konservativ oder subversiv bis auf die KnochenKonservativ oder subversiv bis auf die Knochen

Boris Magrini liefert in seinem Buch „Confronting the Maschine“ eine spannende Einschätzung der Entwicklung digitaler Kunst, ihrer Sparten und Protagonisten. Er versucht das Verhältnis von traditioneller, zeitgenössischer Kunst und Medienkunst zu klären und die jeweiligen Positionen aufzuschlüsseln.

Besprechung des im De Gruyter Verlag erschienenen Buchs „Confronting the Maschine“ von Boris Magrini

Fortschritts­glaube und Verherr­lichung von Techno­logien

Was will Medien­kunst ? Die Geschichte der Medien­kunst ist die einer appara­tiven Kunst, die weit bis ins rein mechanische, vor­elektro­nische Zeit­alter zurückreicht. Genährt und getrieben vom Mythos der Erschaffung künstlichen Lebens und der Unsterb­lichkeit forschten damals wie heute Wissen­schaftler am positi­vistischen Fortschritts­glauben und der Verherr­lichung von Techno­logie – im Gegen­satz zu Geistes­wissenschaft­lern, traditio­nellen Kunst­histori­kern und Kuratoren: Diese hegen bis heute ein tiefes Miß­trauen gegen­über Computern und dem Internet. In Wahr­heit täusche Natur­wissen­schaft und Wirt­schaft über ihre wahren Ziele die Öffent­lichkeit mit Mythen, während sie Gelder für militä­rische Anwen­dungen und kapita­listische Ausbeu­tung neuer Arbeit sichere. Der Kunst­historiker und Kurator Boris Magrini zeigt in seinem wissen­schaft­lichen Buch „Confronting the Maschine“ wie Künstler dem Computer begegnen und klärt das Verhältnis von Medien­kunst zur zeit­genös­sischen gegen­wärtigen Kunst.

Arpanet und folgende Überwachung

Unbestreit­bar hat sich das ursprüng­lich rein mili­tärische Arpanet zum heutigen Internet entwickelt. Überwachungs­technologien dienen sowohl staat­lichen als auch privat­wirtschaft­lichen Interessen. Im großen Stil werden gigan­tische Daten­mengen zur Profi­lierung von Menschen­material und deren kommer­zieller und poli­tischer Abschöpfung gesammelt, analysiert und ausgewertet. Künstliche Intelligenz wird einen großen Teil bisher menschlich verrichteter Arbeit durch autonome Maschinen ersetzen.

Netart und Glitchart

Zeitgleich mit Acid House und Techno taucht Ende der Achtziger Jahre Neue Medien­kunst und später Netart empor, die wie JODI das Internet subversiv auf die Schippe nimmt. Das Künstler­duo erklärt von Anfang an mit voller Absicht alles falsch zu machen, was im Browser falsch zu machen ist. Sie rebellieren gegen die Techno­logie des Inter­nets und dessen Kommer­zialisierung mit einer Ästhetik von Fehlern, Viren und Bild­störungen – gespeist aus vorhan­denem Web­content. Auf der zehnten Dokumenta, die zum ersten Mal Medien­kunst neben zeit­genössi­scher Kunst zeigt, wird JODI einer inter­nationalen Öffent­lichkeit präsentiert und schreiben neuere Kunst­geschichte. Die jüngere Generation der Glitch­art­künstler wie Rosa Menkman greift die Ästhetik der Netart­künstler auf, überträgt diese auf Bild- und Video­formate aller Art und feiert die Ästhetik des rebellisch Kaputten, während die Anonymous Bewegung mit Hacking für Freiheit im Internet kämpft.

Generative Kunst

Hingegen verfolgen die Computer­pioniere der Siebziger wie Georg Nees oder Frieder Nake einen gene­rativen Ansatz der Kunst. Sie stehen in keinem Konflikt mit dem Computer, sondern nutzen diesen für ihre künstlerischen Zwecke in einer der Wissen­schaft ähnlichen Heran­gehens­weise: Sie sind nach Magrini Entwickler und Programmierer, die sich der Kunst auf einer formal logischen Art widmen. Herbert Franke, seines Zeichens Natur­wissenschaft­ler, Science-­Fiction-­Autor und Künstler, spricht in diesem Zusammen­hang von Medien­kunst als Brücke zwischen Natur­wissen­schaften und Geistes­wissenschaf­ten. Gegen­wärtige Medien­künstler wie Casey Reas und Ben Fry stehen in Bezug zur ersten Generation der Computer­künstler und machen den gene­rativen Ansatz mit Processing inter­national bekannt und populär.

Stallgeruch von Design

Gleich­zeitig hafte nach Magrini speziell generativer Kunst der Stall­geruch von Design an, das aus Sicht von Medienkunst an sich schon ver­dächtig sei. Da generative Kunst weder selbst­reflexiv, kritisch noch sub­versiv sich mit der Rolle des Computers in der Gesellschaft aus­einander­setzt und es ihr in der Regel an einem gesell­schafts­kriti­schen Konzept mangelt, wird sie tendenziell nicht als solche anerkannt. Die Ausrichtung auf programmier­codierte formale Ästhetik macht sie statt­dessen vielmehr schuldig im Sinne der Verherr­lichung von Techno­logie.

Künstliche Intelligenz, Künstliches Leben und die Digitale Teilung

Gegen­über der zeit­genössischen gegenwärtigen Kunst hat wiede­rum Medien­kunst selbst mit dem gleichen Vor­urteil der verleum­dnerischen Computer­nähe zu kämpfen. Denn selbst wenn Medien­kunst als Bioart und Artifical Art kritisch und oft konzept­lastig ein­deutig Stellung bezieht, wird sie scheinbar vom inter­national lukrativen zeit­genössi­schem Kunst­markt ausge­schlossen – so eine aktuelle Diskussion in der Medien­kunst. Manche Künstler kriti­sieren anderer­seits, der konzept­orientier­ten Medien­kunst gehen oft ästhe­tische Qualitäten abhanden, was die Vermark­tung solcher Werke neben anderen Aspekten um so kompli­zierter macht. Medien­kunst lässt sich gegen­über klassischen Gemälden schlecht konser­vieren: Die komplizierten Apparaturen sind fehler­anfällig, kost­spielig in der Wartung, und die Techno­logien sind kurz­lebig.

Auf der anderen Seite sind digitale Werke repro­duzier­bar und kopierbar. In einem kapital­betriebenem Kunst­markt, der wirtschaft­licher Logik von Angebot und Nach­frage folgt, mindert dieser Umstand ihren Wert gegen­über Öl­gemälden. Kurz gefasst lässt sich Medien­kunst gegen­über der physischen Objekt­haftigkeit von Öl­bildern schwerer vermarkten. Befeuert wird eine scheinbare Trennung der Medien­kunst und zeit­genössi­scher Kunst von konser­vativen Kunst­historikern und Kuratoren, die eine solche herauf­beschworen und aufrecht­erhalten. Die empfun­dene digitale Trennung wird vom Autor des Buches bestritten und viel­mehr auf statis­tischen Phäno­menen begründet: In einem Meer von Malern bilden Medien­künstler eine Insel – digitale Künstler sind lediglich vereinzelt in zeit­genössi­schen Kunst­museen und Biennalen zu sehen, wie Nicolai in K21 in Düsseldorf, Kurokawa oder Ikeda auf der dies­jährigen Biennale in Venedig.

Konzept versus Ästhetik

In der Diskussion um ein kritisches Konzept gegen­über der kritik­losen Ästhetik zeigen sich durchaus Parallelen zum Design. In dieser Disziplin ist der Ruf eben­falls laut nach Konzepten, und die Kritik reiner Ästhetik vor­handen. Wie sehr sich doch in beiden Welten die Akteure schwer tun, beides zu vereinen. Denn wer will schon ein theore­tisches Pamphlet kaufen, das nicht in der Lage ist einen zum Kauf zu verführen ? Auf der anderen Seite will sich keiner – der Verstand hat – mit inhalts­loser, wenn auch grafisch schöner, Dekoration blamieren.

Medien­kunst steht sich mit Fokus auf Konzept und einer oft vernach­lässigten Ästhetik einer Vermark­tung selbst im Wege. Gleich­zeitig ist der Autor überzeugt, dass die Rolle der Medien­kunst als Brücke zwischen Wissen­schaft und Gesell­schaft ein falsches Leit­bild sei und eher zur weiteren Spaltung von Medien­kunst und zeit­genössi­scher Kunst beitrage. Daraus zu schließen wäre, dass sie sich eher einer kriti­schen Haltung widmen solle. Magrini ist überzeugt, dass Medien­kunst als Neue Kunst ihre Festival­foren habe und einen eigenen Bereich entwickle. Die digitale Kunst sei in zeit­genössi­schen Sammlungen durchaus vertreten, wenn auch in geringerer Zahl – was einfach daran liege, dass es viel weniger digitale als klassische Künstler gibt.

17.09.2019

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